Feminismus ist (k)eine Utopie

Ist es dystopisch zu denken, die Gleichstellung von Mann und Frau sei eine Utopie? 

Wie viele meiner uto.wien-Freund*innen zerbreche auch ich mir den Kopf über die Begriffe „Utopie“ und „Dystopie“. Ganz am Anfang haben wir alle aufgeschrieben, was für uns eine Utopie definiert. Meine Definition von damals lautet folgendermaßen: 

„Utopie ist für mich eine durch gesellschaftliche Probleme hervorgerufene Wunschvorstellung der Zukunft, die im aktuellen Moment unmöglich umsetzbar wäre.“

Die gesellschaftliche Gleichstellung von Flint* Personen1 und Cis-Männern2 scheint mir – auch nach jahrelangem Kampf feministischer Aktivist*innen gegen patriarchale Strukturen – noch immer sehr weit entfernt. In einer von alten Machtstrukturen und Wertvorstellungen geprägten Gesellschaft, die mehr denn je in starren Rollenbildern lebt, wird jede Forderung nach Gleichberechtigung sofort durch die „Feminismus-Peitsche“ erschlagen. Feminismus ist in Österreich dermaßen verpönt, dass sich selbst die Frauenministerin Susanne Raab nicht als Feministin bezeichnen möchte (vgl. Die Presse 2020). Andere Personen in meinem Umkreis gehen soweit und sagen, Feminismus sei nicht mehr notwendig, da die Gleichstellung der Geschlechter in unserer Gesellschaft ohnehin schon erreicht wäre. 

Die Reaktionen auf ein Social Media Posting, das meine Achselhaare zeigt, belehrten mich anderem.

Neben unterstützenden Worten und Emojis von Frauen, äußerten sich männliche Follower hauptsächlich mit „Ekel“-Kommentaren und „Kotz-Smileys“. Männer, mit denen ich Jahre lang keinen Kontakt hatte, irritierte dieser Anblick so sehr, dass sie aus Emotion und Affekt völlig daneben reagierten.

„Mit der Nummer bist du locker 40 Jahre zu spät dran“, schrieb einer.

Das war weder eine „Nummer“, noch ein Akt des Feminismus. Am ehesten ließe es sich noch als emanzipatorischer Akt bezeichnen, der wohlgemerkt nicht explizit als dieser geplant war. Ich hatte einfach Lust meine Körperhaare wachsen zu lassen und fand das dann auch noch so spannend und schön, dass ich es fotografisch festhalten und mit der Welt teilen wollte.  

Wie kann es also sein, dass Bilder von Frauen, die nicht ins klassische Erscheinungsbild / Rollenbild passen bei anderen Menschen derartige Gefühle auslösen? Leben wir etwa noch immer in einer Gesellschaft, in der Männer glauben Frauen vorschreiben zu können, wie sie auszusehen haben, was sie tun dürfen und vor allem auch: was sie nicht können? 

Leben wir etwa noch immer in einer Gesellschaft, wo Frauen und ihr Beitrag zur Gesellschaft nicht ausreichend geschätzt werden? Ja! Und den Beweis markiert der Equal Pay Day, der dieses Jahr auf den 21. Februar fiel. Demnach müssten Frauen das Jahr 2020 um 52 Arbeitstage länger arbeiten, um für gleichwertige erbrachte Leistung auch gleiche Vergütung wie ihre männlichen Kollegen zu erfahren. 14,3 % beträgt aktuell der Gender Pay Gap3. (vgl. DerStandard 2020)

Zurück zu meinem ersten Versuch der Utopiedefintion. Ich habe darüber, wie gesagt, noch länger nachgedacht und würde diese Definition nun gerne folgendermaßen adaptieren:

„Utopie ist für mich eine durch gesellschaftliche Probleme hervorgerufene Wunschvorstellung der Zukunft, die als diskursives Element eingesetzt wird, um Möglichkeitsräume zu eröffnen. Die Utopie selbst wird dabei nicht umgesetzt!“

Somit disqualifiziert sich die Gleichstellung von Mann und Frau laut meiner eigenen Definition als Utopie, denn es muss oberstes Ziel einer modernen Gesellschaft sein, diese Gleichbehandlung auch tatsächlich zu erreichen. Zur Erreichung dieses Ziels liegt jedoch noch ein – ich vermute – langer Weg vor uns. Also warum nicht den Diskurs darüber anregen durch eine feministische Utopie? 

Wie wäre es mit der matriarchalen Gesellschaft?

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1 steht für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre und trans Personen – also Personen, die aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität patriarchal diskriminiert werden.

2  eine Person, die bei der Geburt dem männlichen Geschlecht zugewiesen wurde und sich auch als Mann identifiziert.

3  Der durchschnittliche Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen

Quelle:

Die Presse (2020): https://www.diepresse.com/5754614/frauenministerin-die-nicht-feministin-ist-unangebracht, 17.02.2021

DerStandard (2020): https://www.derstandard.at/story/2000124361879/fuenf-gruende-warum-frauen-weniger-verdienen-als-maenner, 23.02.2020

Inspirationen:

https://kurier.at/politik/inland/wahl/plan-k/expertin-manuela-vollmann-fordert-brauchen-einen-masterplan-fuer-gleichstellung/272.964.090

https://www.frauenbauenstadt.at/

https://editionf.com/babbel-definition-feminismus/#

Charim I., Falter, Die Wochenzeitung aus Wien, Nr. 7/21 – 27.01.2021, S. 9

Dérive, Zeitschrift für Stadtforschung, Jan-Mar 2021, No 82, S. 10-16

Beitrag von Vicky

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