Grundlos glücklich?*

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*Replik auf das PIT in Hamburg 2019, welches pandemiebedingt nicht stattfinden konnte

Ein eigentümliches Gedankenexperiment

Stellen sie sich vor sie wachen im Alter bester Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit auf einer Insel inmitten eines saftigen grünen Feldes auf. Die Insel bzw. die Natur halten ihnen alles bereit, was sie zum Überleben bzw. sonstiger Bedürfnisbefriedigung darüber hinaus benötigen. Der Einfachheit halber nehmen wir an, sie haben umfangreiches Wissen über die Bestellung und Bewirtschaftung von Ackerland und können mit ihrem Körper diese auch bewerkstelligen. Sie leben so im Einklang mit der Natur und den ihnen zur Verfügung stehenden – selbst angebauten – Lebensmitteln. Einige Jahre gehen vorüber bis ein Schiff mit See- und Staatsmenschen auf der Insel ankommt und diese behaupten für sich zu beanspruchen. „Sie befinden sich auf ameligiesischem Staatgebiet, ist ihnen das bewusst?“ könnten die Herren und Damen zu ihnen sagen. Sie, ohne jegliches Wissen darüber was Staaten überhaupt sind, wissen nicht recht, wie sie darauf reagieren sollen. Der Einfachheit halber nehmen wir an sie sprechen dieselbe Sprache, was die Lesbarkeit der weiteren Absätze eindeutig erleichtert). „Nach §24 des Staatsgesetzes sind sie verpflichtet die Hälfte ihrer Ernte an uns abzugeben!“ spezifiziert die Belegschaft, nachdem sie die Verwirrung in ihren Augen erkannt haben. Wahrscheinlich trägt das noch mehr zu ihrer Konfusion bei. Sie werden sich denken, wie diese Leute nun aus heiterem Himmel darauf kommen können, dass sie einfach so über dieses Feld bestimmen können – ist es doch das Feld, das sie zur Bedürfnisbefriedigung jahrelang akribisch beackert und betreut haben. „Sie hören wohl nicht recht, dieses Feld ist Eigentum der Königin von Amelogal!“. Nach einigem Zögern und mit Verweis auf ihre eigene Befriedigung lebensnotwendiger Bedürfnisse, eventuellem Weigern etwas von ihrer Ernte abzugeben bzw. Versuchen den Invasor:innen beizubringen, dass sie das Feld mit ihrer Hilfe selber bestellen und sich davon ernähren können, werden die Personen plötzlich unangenehm. Sie könnten unter Zwang versuchen ihr Wissen über den Ackerbau so zu verwenden, dass sie ihnen Gemüse herstellen. Der Begriff des Eigentums als Kapital ist nun in ihrer Gedankensphäre angekommen!

Begriffsklärung und geschichtliche Aspekte

Um diese Gedanken zu ordnen werden einleitend die der Arbeit zugrundeliegenden Verständnisse bzw. Lesarten von Eigentum in Zusammenhang mit kapitalistischer Verwertung dargelegt sowie dessen historische Entwicklung in groben Zügen skizziert.

Die Philosophin Sabine Nuss versteht unter Eigentum „eine Beziehung zwischen mehreren Menschen bezogen auf eine Sache, körperlich oder unkörperlich“. Im Zentrum steht dabei wer über was verfügen darf. Eigentum bedeutet bzw. verleiht Verfügungsmacht.  (vgl. Nuss 2019: S.9)

Der heterodoxe Wirtschaftswissenschafter Dirk Löhr sieht in der Verwendung von Grund und Boden eine der ältesten und relevantesten Verteilungsfragen der menschlichen Siedlungsgeschichte (vgl. Löhr: S.V.). Über weite Strecken der Geschichte stellte Grund und Boden keine unter privaten Personen zirkulierende Ware dar. Vielmehr waren Grund und Boden im Besitz von Herrschenden oder Adeligen, die den Boden bewirtschaften ließen und somit andere Personen in ein Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen zwingen konnten, wie das in feudalen mittelalterlichen Strukturen erkennbar war. (vgl. Nuss: S.51)

Eigentum wie wir es heutzutage kennen und es oftmals naturgegeben als Kapital und damit auch als handelbare Waren erscheint, existiert in dieser Form erst seit gut 500 – 800 Jahren. Seit dem Ende des 16.Jhd wurden, getrieben durch den Wunsch der profitablen Nutzung von Boden, Bäuer:innen von ihren landwirtschaftlich genutzten Flächen vertrieben. Äcker wurden eingezäunt, Bäuer:innen die gewohnte Nutzung versagt und somit ihre „Gewohnheits- und Nutzungsrechte“ vernichtet. Aufstände im 16. Und 17. Jhd vermochten diesen sog. Enclosures (zu deutsch: Einhegung) keine nachhaltige Wirkung entgegenzusetzen und somit wurden die Bäuer:innen zu Arbeiter:innen die nicht für die Eigenproduktion, sondern für die Vermehrung des Kapitals von Grundherren arbeiteten. (vgl. Nuss 2019: S.55f.)

Dies markierte dem US-amerikanischen Historiker Ellen Meiksins Wood zufolge den historischen Ausgangspunkt kapitalistischer Produktionsweise (ibid: S.55). Die Nutzung des Bodens bildet demnach den Ausgangspunkt zum Aufstieg des Kapitalismus. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass jene Personen, die Kapital besitzen (= Kapitalist:innen) danach streben ihr Kapital so einzusetzen, dass es den größtmöglichen Profit abwirft. Produktionsfaktoren wie Grund und Boden gehören nicht mehr den Arbeiter:innen (die von ihnen verrichtete Arbeit ist ebenfalls ein Produktionsfaktor), sondern dem:r Kapitalisten:in, welche:r über das Kapital verfügen kann. (vgl. brandeins 2014)

Versteht man Grund und Boden als ein handelbares Gut und damit auch als Kapital stellen der Kapitalismus, der Etatismus und der Sozialismus die drei idealtypischen Formen von Wirtschaftsstrukturen und somit auch Utopien dar. Die Ausübung der Macht über Ressourcen erfolgt dabei entweder über den:die Kapitalgeber:in (Kapitalismus), den Staat (Etatismus) sowie die Bürger:innen (Sozialismus). (vgl. Nuss 2019: S.188) In ihrer Reinform können diese drei Formen auch als Utopien oder Dystopien bezeichnet werden. Ihre Realisierung oder flächendeckende Umsetzung ist nicht möglich bzw. aus meiner Sicht nicht erstrebenswert, sie bilden das diskursive Spannungsfeld, in dem sich die Diskussion um das Eigentum an Grund und Boden bewegt.

Fragestellungen

Werfen wir vor diesem Hintergrund noch einmal einen Blick auf das anfangs erwähnte Beispiel. Es ergeben sich dabei mehrere Fragen für die Inselbewohnerin:

  • Wem gehört Land und darf ein Mensch oder eine Gruppe ein Stück Erde besitzen und darüber verfügen?
  • Fußt unser derzeitiges Verständnis von Eigentum an Grund und Boden auf einem ethisch vertretbaren Fundament?

Die beiden genannten Erkenntnisfragen stellen die Grundlage für eine Projektion auf und die gleichzeitige Reflexion der Raumplanungspraxis v.a. im Bezug auf Stadtplanung dar. Es werden deshalb weiters Denkanstöße zur Auseinandersetzung mit folgenden zwei Fragen angeboten:

  • Welche Art der Nutzung und des Eigentums an Grund und Boden ermöglicht eine nachhaltige (möglichst schonender Umgang mit Grund und Boden) Stadt- und Raumentwicklung?
  • Entwickeln sich unsere Städte aufgrund privater Kapitalvermehrungsinteressen oder hat der Staat tatsächlich Steuerungsmöglichkeiten?

Die Beantwortung jeder dieser Fragen wäre imstande ganze Bibliotheken zu füllen. Mit Mut zur Lücke sollen hier frei nach dem Verständnis einer Utopie als diskursives Element Teilaspekte aufgezeigt und behandelt werden. Sie sollen Diskussionen anstoßen und zur weiteren individuellen Vertiefung und Auseinandersetzung anregen.

Was darf Mensch mit einem Stück Erde machen?

Das eingangs skizzierte Beispiel zeigt, dass für die Definition und Durchsetzung von Besitz- und Eigentumsrechten bestimme Festlegungen und Machtkonstellationen vonnöten sind. Wüsste die Inselbewohnerin, dass es so etwas wie Staaten, Gesetze oder eine exekutive Gewalt gibt, würde sie den Besitzansprüchen der vermeintlichen Invasor:innen vermutlich nicht erstaunt gegenüber stehen. Eigentum an Grund und Boden ist seit jeher eng mit Vertreibung und Gewalt verbunden (Stichwort Enclosures). Heutige Eigentumskonstellationen sind somit ein temporäres, aber gleichzeitig immer in Bewegung befindliches Ergebnis historischer Prozesse. Anhand von Flurstrukturen, Baufeldgrößen, Bautypologien bzw. Siedlungsstrukturen im Allgemeinen prägen sich diese historischen Strukturen in unsere (Kultur)Landschaften ein.

Vor dem Hintergrund der gewaltsamen „Enclosures“ stellt sich die Frage, ob es vertretbar ist, dass einzelne Menschen ein Stück Erde besitzen, damit andere Menschen von der Nutzung auszuschließen und dies durch ein Rechtssystem zu decken. Besondere Brisanz erfährt diese Frage vor dem Hintergrund stetiger Urbanisierung und damit zusehender Verknappung und deshalb in einem marktwirtschaftlichen kapitalistischen System Verteuerung des begrenzten Gutes Boden. Immer weniger Menschen können in Städten Eigentum begründen, ganz gleich ob man sich nun die Frage stellt, ob dies generell möglich sein sollte oder nicht. Die Folgen des Ausschlusses anderer sowie des exklusiven Besitzes Weniger an Grund und Boden zeigen sich immer drastischer in einer Gesellschaft, die durch soziale und ökonomische Ungleichheiten geprägt ist.

Wie kann ethisch – das heißt vor dem Hintergrund der Bewertung menschlichen Handelns als „gut oder schlecht“ – argumentiert werden, dass jemand Eigentum besitzen darf, während anderen Personen dies nie möglich sein wird? Ist diese Frage nur anhand von Leistung und Einkommen zu bewerten? Ist ein gut bezahlter Job einer Programmiererin mehr wert als der einer Reinigungskraft?

Im selben Atemzug muss auch darauf hingewiesen werden, dass Personen, die bspw. eine Wohnung für den Eigengebrauch im Eigentum erworben haben anderen Verpflichtungen unterworfen sein könnten als Personen, die mehr als 20 Wohnungen besitzen und diese als reines Kapitalvermehrungsobjekt betrachten. Gleichfalls gibt es Menschen, die jahrzehntelang ihre Eigentumswohnungen abbezahlen und sich horrende Schulden aufhalsen. Mit dem Wunsch nach dem Kauf des gesellschaftlich so begehrten Eigentums reproduziert und legitimiert man dazu noch die horrenden Preise, die als Spiegelbild der verschobenen Verhältnisse dienen. Den privaten Personen kann man dabei nur schwer Unterstellungen machen, der Grund ist vielmehr an den Wurzeln zu suchen, die Beschreibung der Blätter und Blüten aber nichtsdestotrotz wichtig.

Ungleiche Bedingungen manifestieren sich darüber hinaus im Erbrecht. Wer erbt hat von Beginn seines Lebens gegenüber einer Person, die nicht erbt, einen massiven Startvorteil. Mir ist bewusst, dass es mannigfaltige soziale Realitäten gibt, die durch Vereinfachungen in ihrer Gesamtheit nicht beleuchtet werden können. Es ist verwunderlich, dass in einer Gesellschaft, in der Leistung permanent als der Schlüssel zu materiellem Wohlstand propagiert wird, das Erben – welches per se mit keinen Leistungen des Begünstigten verbunden ist – derart emotionale Reaktionen hervorrufen kann. Entgegengehalten kann diesem Argument, dass ein Erbe ein Vermächtnis der hart arbeitenden Eltern für die Kinder darstellt, denen durch das Eigentum ein beschwerdefreies Leben ermöglicht werden soll.

An dieser Stelle muss der oben erwähnte Mut zur Lücke greifen, gäbe es doch noch so einige brisante Aspekte, die in Zusammenhang mit Eigentum an Grund und Boden von Relevanz wären wie die Frage nach der Legitimität mit der Veräußerung oder gar Spekulation von Grund und Boden Geld verdienen zu dürfen. Eine weitere spannende Frage ist jene nach den sozialen Verpflichtungen, die durch Eigentum an Grund und Boden ausgelöst werden.

Was ist nun deine Meinung? Fußt unser Verständnis von Eigentum an Grund und Boden auf ethisch vertretbaren Grundlagen?

Grund und Boden in der Stadtentwicklung

Wie schaut sie nun aber aus, die ideale Verteilung von Grund und Boden? So einfache Antworten der Kapitalismus und der Kommunismus in ihrer Extremform auf diese Fragen parat haben, so divers ist das reale Spektrum des Umgangs mit Eigentum. Schon heute existieren bunte Mischformen. Eigentumsverhältnisse in einer Stadt können dabei mithilfe der Metapher einer Salatschüssel betrachtet werden. Neben Flächen in privatem Eigentum befinden sich v.a. in Wien viele Flächen noch im öffentlichen Besitz (ca. 28,4% aller rd. 165.000 Gebäude und 50% aller Flächen) und auch immer mehr gemeinschaftliche Bauprojekte mischen sich in den Salat und machen diesen dadurch bunter und geschmacklich aufregender (vgl. Stadt Wien 2015: S.14  und AzW 2020: S.74). Politische Akteur:innen können dazu beitragen den Anteil zwischen Salatblättern, Paradeisern und Zwiebeln zu steuern. Wie es beim Geschmack so ist, kann das Resultat für die einen bitter, die anderen süß sein. Auch die äußeren Umstände wie Jahreszeit oder das Hauptgericht (natürlich kann auch Salat das Hauptgericht sein!) definieren, welcher Salat gerade richtig ist. Unter Jahreszeiten könnte man dabei die sich wandelnden politischen Zielsetzungen der Regierungen und unter den Beilagen generell (globale) Rahmenbedingungen wie Klimawandel, sozialer Wandel, Globalisierung und Digitalisierung verstanden werden, die unweigerlich einen großen Einfluss auf die Wahl des Salates haben. Zu Germknödel passt eben ein Zwetschkenröster besser und niemand wird ernsthaft bezweifeln, dass ein Erdäpfelsalat als Beilage zu einem Schnitzel ungleich delikater anmutet als eine Vanillesauce. Damit soll die metaphorische Darstellung der Frage nach Grund und Boden zur Beilage nicht als Degradierung, sondern als essenzieller Bestandteil einer Speise dienen.

Soweit so theoretisch. Die Überführung sämtlichen Eigentums an Grund und Boden in gesellschaftliche Strukturen scheint zurzeit genauso utopisch oder dystopisch (Man beachte die gewählte Definition von Utopie: etwas das per definitionem nicht erreichbar sein kann!) wie die Kommodifizierung und damit lückenlose Privatisierung. Auch wenn es aus meiner Sicht reizvoll erscheint den Gedanken der gesamthaften Überführung von Grund und Boden in gemeinschaftlichen Besitz weiterzudenken soll der Fokus dieses Textes auf dem realen Kontext liegen.

Die Bauparzelle stellt die kleinste Einheit von Grund und Boden dar. Das gesamte Staatsgebiet Österreichs befindet sich demnach aufgeteilt in Grundstücke im Eigentum einer oder mehrerer Privatpersonen, öffentlichen Institutionen und Firmen. Darüber hinaus können komplexe Zwitterformen und Verbindungen dieser bestehen. 

Die Grundkritik dieses Textes bezieht sich dabei auf die Möglichkeiten der Nutzung und der Veräußerung des Eigentums von Grund und Boden. Die rechtliche Regelung von Grundverkehr in Österreich ist stark föderal geprägt – jedes Bundesland kocht hierbei seine eigene Suppe. Abgesehen von rechtlichen Regulierungen ist vorab die Frage nach der Legitimation von Veräußerung zu stellen.

Stellen wir uns unsere Antiheldin – in weiterer Folge werde ich sie der Einfachheit halber „Frau x“ nennen – des eingangs erwähnten Beispiels vor. Sie kann entweder ein Grundstück besitzen oder nicht. Befindet sie sich im Besitz eines Grundstücks so kann sie dieses über Erben, Schenken oder eben einen Kauf erlangt haben – soweit so unspektakulär. Spannend wird es, wenn Frau x den Wunsch verspürt ihr Grundstück in Kapital, also in Bewegung zu versetzen. Befindet sie sich im Besitz von Grund und Boden kann sie es entweder nutzen und bebauen oder aber veräußern. Das hängt stark von der Größe des Grundstücks, der Widmung, der Lage und den jeweiligen Lebensumständen ab. Die Heterogenität dieser Faktoren bedarf im Zweifel einer Auseinandersetzung mit der Frage wie dieses Grundstück genutzt bzw. veräußert werden darf. Das Wort „dürfen“ verweist dabei bewusst normativ gewählt auf Regelungen einer Gesellschaft und was als Gesellschaft für gut und schlecht empfunden wird.

Die spannende und heikle Frage tritt auf, wenn Frau x über mehr Grund und Boden verfügt, als sie für die Befriedigung ihres Wohnbedürfnisses benötigt – abgesehen davon kann man sich natürlich auch die Frage stellen, ob es frei entscheidbar sein soll wieviel Wohnraum man zur Verfügung hat. Vor dem Hintergrund steigender Mieten und rarem Wohn(t)raum drängt sich demnach ebenfalls die Frage auf, wie sinnvoll es ist bspw. zu zweit in einer 400 m² Wohnung zu wohnen oder ob man dadurch eventuell anderen Leuten Wohnraum wegnimmt.

Veräußerung von Grundstücken

Nehmen wir nun folgendes an: Frau x bemerkt, dass sie ihr Grundstück gerne veräußern will, weil sie sowieso nur mehr die Hälfte nutzt. Aus den Medien erfährt sie täglich, dass viele Menschen in Wien Wohnraum suchen UND dass zurzeit horrende Gewinne mit der Veräußerung von Grund und Boden gemacht werden können. Sie freut sich, dass ihre Eltern damals vorgesorgt haben und billig Eigentum erstanden haben. Nun, 70 Jahre später, kann der Grund einige tausend Prozent mehr wert sein (Anm.: in München sind die Baulandpreise bspw. von 1962 bis 2017 um knappe 6.000% gestiegen (vgl. Vogel 2019: S.37))! Was für ein Gewinn! Frau x wird nicht lange überlegen und verkaufen. In diesem Moment wird sie ohne selbst etwas dafür geleistet (oder nicht in proportionalem Maß dazu) zu haben auf einmal reich sein. Reich durch den unsichtbaren Vorgang der Übertragung von Verfügungsrechten an eine andere Person die das Grundstück kauft. Wenn wir und nun das Beispiel Wien ansehen, dann ist zu vermuten, dass ein Großteil des Gewinns aus öffentlichen Investitionen, also Investitionen mit Steuergeld oder der generellen Aufwertung eines Stadtviertels entsteht. Neben einer verkehrlichen Infrastruktur wie einer U-Bahn könnte eine innenstadtnahe Lage mit kulturellen Einrichtungen, einer guten medizinischen Versorgung oder aber nur ein geschützter Grünraum in der Nähe der Grund sein, warum das Grundstück an Wert gewonnen hat.

Ist es nun fair, dass Frau x den gesamten Gewinn bekommt?

Die gleiche Frage könnte man dann auch hochskalieren auf Unternehmen, die im großen Stil Grund und Boden ankaufen. Zwar schon zu horrenden Preisen, diese aber wiederum bebauen und noch teurer weiterveräußern. Dieses Streben nach Gewinn – das ein Immobilienunternehmen am freien Markt zweifellos hat, führt dazu, dass Grundpreise und Mieten immer weiter steigen. Durch den Wunsch (oder eher systemimmanenten Zwang) das für den Kauf eingesetzte Kapital stetig zu vermehren, kauft man immer wieder neue Grundstücke in anderen Lagen und verwertet sie. Dabei unterstelle ich, dass nicht das Ziel der Bereitstellung von leistbarem Wohnraum im Vordergrund steht, sondern das Streben nach möglichst hohen Renditen. Leistbarkeit wird dabei in der öffentlichen Debatte in den Aufgabenbereich von Gebietskörperschaften verschoben, was meiner Ansicht nach einer Perversion gleichkommt. Sollte nicht jede Wohnung leistbar sein? Es ist nicht eine indirekte Verhöhnung ökonomisch schlechter gestellter Personen, wenn der – als effizient gelobte ­­– freie Markt nicht in der Lage ist ein Mindestmaß, nämlich leistbare Mieten, herzustellen? Die Frage nach dem vermeintlichen Sündenbock ist dabei komplex. Irgendwo muss der Verkaufsprozess gestartet haben und an irgendeiner Stelle des Glieds muss auch der Wunsch nach der Mehrung ökonomischen Kapitals im Spiel gewesen sein.

Ist es überhaupt verwerflich in unserer heutigen Gesellschaft danach zu streben sein Geld zu mehren? Vor allem wenn es so leicht möglich ist wie mit Grund und Boden? Oder ist es hierbei gerechtfertigt, dass der Staat bei Veräußerungsgewinnen eingreift und „gerechte“ Anteile an die Allgemeinheit abgegeben werden? Schlussendlich stellt sich hierbei auch die Frage nach der Kontrolle, wie das Geld, das wieder zurückfließt, auch gerecht weiterverwendet wird.

Natürlich sind die Zustände in der Realität nicht so eindeutig und klar, wie oben skizziert. Ich bin jedoch der Ansicht, dass es nützt komplexe Strukturen zu sezieren und Teilaspekte detailliert aufzuarbeiten, um dann wieder ins große System zurückzugehen und Veränderungen vorzuschlagen.

Welche Handlungsoptionen haben nun Akteur:innen, um zu einem gerechteren Umgang mit Grund und Boden zu kommen? Gerecht meint in diesem Sinne, dass der Umgang keine Angelegenheit von einigen wenigen Eigentümer:innen mit Gewinnerwartungen sein, sondern durch einen gemeinschaftlichen ausverhandelten Eingriff strukturiert werden soll. Wie ein verändertes Verständnis von Wohnbaupolitik aussehen kann zeigen einige Gebietskörperschaften, die es geschafft haben unter den gegebenen neoliberalen „Zwängen“ weitestgehend die Kontrolle über Grund und Boden aufrechtzuerhalten und damit zu Vorreitern für „leistbaren“ Wohnbau zu werden. Unter anderem zählt die Stadt Wien mit ihren Gemeindewohnungen und einem starken geförderten Sektor dazu. Trotz des Erfolges bedarf es hierbei einer kritischen Betrachtung aktueller wohnbaupolitischer Vorgänge in Wien, auf die in diesem Beitrag jedoch nicht eingegangen wird (für weitere Auseinandersetzung bspw.: Wissenschaft und Politik 2020). Stattdessen wird abschließend das Beispiel der Stadt Ulm kurz umrissen:

Ulm als Vorreiter der Bodenpolitik?

Ulm liegt zwischen den beiden Großstädten München und Stuttgart direkt an der Grenze von Baden-Württemberg zu Bayern. Die 120.000 Einwohner:innen zählende Kleinstadt blickt auf eine konsequente und ebenso erfolgreiche Bodenpolitik zurück. Ab dem 13. Jhdt. konnten Flächen durch Ankauf in den Besitz der Stadt gelangen. Diese Politik wurde beibehalten, städtische Flächen nicht veräußert, sondern neue angekauft, weswegen die Stadt Ulm heute im Besitz eines großen Teils des Stadtgebietes ist.  Mehrere simple Maßnahmen führen dazu, dass Grund und Boden weitgehend den Logiken der direkten Kapitalverwertung entzogen wird.

  • Bebauungspläne für Quartiere werden erst erlassen, wenn sich alle Grundstücke im Besitz der Stadt befinden. Es besteht somit überwiegend kein Bauland in privaten Händen, womit der Ankauf von Grünland billig ist.
  • Wer ein Grundstück kaufen und bebauen will kann dies nur über die Stadt Ulm tun. Diese behält dabei die Hoheit über die Lage des Baulandes sowie den Preis.
  • Baugrundstücke werden im Erbbaurecht vergeben, womit die Stadt Ulm langfristig im Besitz der Grundstücke bleibt.
  • Die Stadt behält sich das Recht vor Bauland im Falle des Nicht-Bebauens zum ersten Kaufpreis rückzukaufen, womit das Horten von Bauland verhindert wird.

(Vgl. Stadt Ulm k.D. und vgl. Süddeutsche Zeitung 2018)

Somit schafft es Ulm den Preis für Bauland und Mieten im Vergleich zu anderen Regionen und Städten Deutschlands gering zu halten und somit leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig eine übergeordnete strategische Stadtentwicklung durchzuführen. Mit ein Grund für geringe Mieten könnte dabei auch der vergleichsweise geringe Preis für Bauland sein. In Bezug auf das Extrembeispiel München nennt der ehemalige Politiker Hans-Jochen Vogel, dass der Anteil der Baulandkosten an den gesamten Baukosten von 1950 auf 2018 von 1,42% auf 79,15% gestiegen ist (vgl. Vogel 2019: S.38).

Herangehensweisen wie jene der Stadt Ulm stehen exemplarisch für die Gestaltbarkeit von Wohnpolitik und für die Möglichkeit des Neudenkens unseres Umgangs mit Grund und Boden. Gegenwärtige Strukturen sind nicht in Stein gemeißelt und können durch politische Handlungen aufgebrochen und neu angeordnet werden. Frei nach Harald Welzer existieren die Zutaten für das Denken neuer Utopien bereits. Es bedarf jedoch mutiger und sozial-„innovativer“ Köch:innen, die bereit sind unkonventionelle Rezepte zu erproben. So können dem seit Jahrzehnten gegessenen und wiederaufgewärmtem Einheitsbrei neuer Glanz und Farbe verliehen werden.

Einige spannende Ideen liegen bereits auf dem Tisch und werden in absehbarer Zeit den Diskurs über leistbares Wohnen sowie Grund und Boden weiter intensivieren. Zu nennen sind dabei u.a. das Mietshäusersyndikat, welches Grund und Boden dem Markt gänzlich entzieht und vergesellschaftet. Das Modell des gehaltsbezogenen Mietzinses (u.a. durch Smart Wohnungen in Wien) sowie die immer zahlreicher realisierten Baugruppen als ein Modell gemeinschaftlich verwalteten Wohnens sind aussichtsreiche Beispiele. 

Es liegt an der jungen Generation die vergilbten und verstaubten Kochbücher der traditionellen Küche zu überarbeiten und wohlwissend, dass einige neue Gerichte auch scheitern können und wohl auch werden, nach erfrischenden, neuen Konstellationen zu suchen.

Resümee

Wie schaut er nun aus, der vermeintlich gerechte Umgang mit Grund und Boden? Der Text hat versucht auf Grundlage eines historischen Überblicks grundlegende ethische und moralische Fragen bzgl. Grund und Boden zu stellen und diese in einem weiteren Schritt zu verräumlichen sowie die Relevanz für eine strategische und nachhaltige Siedlungsentwicklung aufzuzeigen. Gegenwärtige Strukturen sind nicht für ewig zementiert, Gesellschaft ist formbar und entwickelt sich laufend weiter. Sind derzeitige Formen der Bodenpolitik noch zeitgemäß und erlauben sie wirklich ein gerechtes und menschenwürdiges Leben? Schlussendlich stehen zwei Fragen über den oben genannten Ausarbeitungen, deren Beantwortung das Fundament darauf aufbauender politischer Handlungen ist.

  • Wem gehört Grund und Boden und wer darf darüber verfügen?

Dürfen Privatpersonen alleinige Eigentümer:innen eines Stück Erde sein? Haben nicht alle Menschen ein gleiches Anrecht auf jedes Stück Grund und Boden?

  • Bedarf es eines globalen Rechts auf leistbaren Wohnraum?

Die österreichische Verfassung listet zahlreiche Grundrechte, unter anderem auch die auf die Unverletzlichkeit des Privateigentums. Ein Recht auf leistbaren Wohnraum für jede in Österreich wohnhafte Person ist direkt nicht vorgesehen. Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte listet u.a. Wohnen als Grundrecht. Einklagbar ist dieses jedoch nicht, da es sich nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt. Es bestehen jedoch Berichtspflichten. (vgl. menschensrechtserklärung.de k.D. und vgl. BMEIA 2019) Lasst uns gemeinsam die Utopie eines Menschenrechtes auf Wohnen und eines fairen und nachhaltigen Umgangs mit Grund und Boden denken. Während erstere meiner Ansicht nach ohen großen Aufwand aber mit genügen politischem Mut bereits heute umsetzbar wäre, bedarf zweitere einer breiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Aus heutiger Sicht wird diese leider kaum ohne Konflikte auskommen. Umso wichtiger erscheint eine fundierte und nachvollziehbare Argumentation von gesellschaftlichen Grundhaltungen bzgl. des Umgangs mit Grund und Boden. Vor allem im Hinblick auf Herausforderungen wie die Erderwärmung, anhaltende und teilweise irreparable Umweltzerstörungen und die damit eng verbundenen, zu erwartenden Migrationsbewegungen scheint diese Frage zentral. Eine protektionistische und auf dem Schutz von Eigentum beruhende Gesellschaftsordnung und Politik sind meiner Meinung nach nicht erfolgsbringend und bergen das Risiko der nachhaltigen Eskalation. Das zu erwartende Erdbeben kündigt sich bereits heute mit einigen Vorbeben an und zeichnet erste Risse in der Gesellschaft. Nehmen wir die Herausforderungen an, transformieren wir unsere Gesellschaft derart, dass die zu erwartenden Deformationen und die Schwingungen der Plattentektonik in unsere Landschaft integriert werden. Wie die Menschheit es im Laufe der Jahrhunderte geschafft hat sich die Natur zur Untertanin zu machen bedarf es nun einer Kehrtwende und einer symbiotischen Planung mit der Natur.

Quellenverzeichnis:  

Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (BMEIA) (2019): Bedeutung der Menschenrechte, Online  Abruf: https://www.bmeia.gv.at/europa-aussenpolitik/menschenrechte/bedeutung-der-menschenrechte. Letzter Aufruf:  28.12.2020 

Löhr, Dirk (2019): Marktgerechte Erbbaurechte. Wie Kommunen über Erbbaurechte bezahlbares Wohnen ermöglichen  können 

Nuss, Sabine (2019): Keine Enteignung ist auch keine Lösung. Die große Wiederaneignung und das vergiftete  Versprechen des Privateigentums, Berlin 2019.  

Unterreiner, Veronika (2004): Was ist eigentlich – KAPITALISMUS? Für die einen ist er die Rettung, für die anderen das  große Übel. Text in: brandeins Archiv 2004. Link. https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins wirtschaftsmagazin/2004/der-apparat/was-ist-eigentlich-kapitalismus (letzter Aufruf: 10.12.2020) 

Vogel, Hans-Jochen (2019): Mehr Gerechtigkeit! Wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird auch Wohnen  wieder bezahlbar. 2. Auflage, Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 

Wissenschaft und Politik (2020): Wohnen in Wien – zwischen Finanzmarktlogik und Sozialpolitik. Interview von Angelika  Striedinger mit Justin Kadi und Waltraud Karner-Kremser. Online Abruf: https://www.wissenschaftundpolitik.at/2020/06/10/wohnen-in-wien-zwischen-finanzmarktlogik-und-sozialpolitik/, letzter  Aufruf: 28.12.2020 

Architekturzentrum Wien (AzW) 2020: Boden für alle, Hrsg: Mayer, Karoline; Ritter, Katharina; Fitz, Angelika und  Architekturzentrum Wien. Park Books. 

Menschenrechtserklärung.de (k.D.): Status und Bedeutung der Menschenrechtserklärung Online Abruf:  https://www.menschenrechtserklaerung.de/der-status-der-menschenrechtserklaerung-374/, letzter Aufruf: 28.12.2020 

Stadt Ulm (k.D.): Leben in Ulm/ Bauen & Wohnen. Online Abruf: https://www.ulm.de/leben-in-ulm/bauen-und-wohnen,  letzter Aufruf: 28.12.2020 

Süddeutsche Zeitung (2018): Wer nicht genug verdient, geht leer aus von Susanne Osadnik. Online Abruf:  https://www.sueddeutsche.de/geld/wohnungsmangel-wer-nicht-genug-verdient-geht-leer-aus-1.3886172, letzter Aufruf:  28.12.2020 

Stadt Wien (2015): Statistik Journal 2/2015. Ergebnisse aus der Registerzählung 2011.Teil 1: Gebäude- und  Wohnungszählung Wien im Querschnitt der Zeit Online Abruf: https://www.wien.gv.at/statistik/pdf/wien-quer-sj-2-15.pdf,  letzter Aufruf: 22.12.2020

Beitrag von Philipp

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