Weihnachtlicher Familienausflug nach Utopia!

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Fragt man mich nach meiner persönlichen Utopie, so sind Selbstbestimmung und Gleichstellung aller Geschlechter und gleichzeitig eine hohe gesellschaftliche Diversität die wesentlichen Elemente. Natürlich dürfen Themen wie Klimaschutz, neue Wohnformen sowie eine Post-Wachstums-Gesellschaft in meiner Utopie nicht fehlen. Bei dieser recht einfachen und auf den ersten Blick zusammenhangslosen Aufzählung würden mir vermutlich dennoch zahlreiche (angehende) Raumplaner*innen zustimmen.

Dieser Tage interessiert mich allerdings, wie Utopien von Personen, die einen anderen fachlichen Background oder politische Ansicht als ich haben, aussehen.

Daher habe ich mir vorgenommen, die Weihnachtsfeiertage zu nutzen um im Kreise meiner Familie in die Welt der Utopien einzutauchen. Denn wo sonst – als bei Familienfesten – clashen so viele unterschiedliche Meinungen, politische Ansichten und fachliche Backgrounds zusammen.  Zugegeben, wir stammen alle aus einem ähnlichem bzw. demselben Milieu – größtenteils sitzen bei uns (angehende) Akademiker*innen am Esstisch – weshalb meine Ergebnisse nur einen winzig kleinen Einblick geben.

Eine Kleinigkeit noch zu meiner Familie: ich liebe sie sehr, versteht mich hier nicht falsch. Aber, intensive Diskussionen und politische Abhandlungen begleiten mich seit Kindesalter.

Und so werden noch heute beim Frühstückstisch hochpolitische Themen – manchmal sogar bis der Tee kalt wird – ausdiskutiert. Und wer meine Familie kennt, weiß, dass an gelegentlichen Grundsatzdiskussionen kein Weg vorbeiführt.

Abb. 1: Ich, wie ich den Weihnachtssegen nicht gefährde!

Um den Weihnachtssegen jedoch nicht gleich am ersten Abend zu gefährden, hatte ich mich bewusst dazu entschlossen, nicht direkt am Heiligenabend die „Utopiebombe“ platzen zu lassen. Ich legte mir deshalb eine Strategie zurecht, die meine Familie und ich besser verkraften sollten, als die direkte Konfrontation am zweit höchsten katholischen Feiertag des Jahres. Peu à peu tastete ich mich in den Tagen vor Weihnachten sowie in den Tagen danach im Stile einer Investigativjournalistin an die unterschiedlichen Utopien meiner Family heran.

Meine „Recherche“ startete ich bei einem gemütlichen Kaffee mit meinem Papa am Samstag vor Weihnachten. Um ihn besser zu verstehen, muss man wissen, dass mein Vater ein studierter Techniker ist, der aktuell in der Glasindustrie im Management arbeitet.

Abb. 2: Utopienschmankerl No.1

Wir beginnen mit einem smoothen Einstieg zum Thema Corona und welche Auswirkungen die Pandemie für sein Unternehmen hat. Ich möchte meine erste Chance ergreifen und beginne die Unterhaltung leicht in das Thema Utopie zu lenken. Leicht ist gut gesagt; schnell fallen die ersten Schlagworte: Post-Wachstum, Arbeitszeitenverkürzung, das bedingungslose Grundeinkommen.

Mein Papa betont mehrmals, dass er sich ganz klar als Demokrat bezeichnet und auch in seiner Utopie eine demokratische Herrschaftsform als elementaren Bestandteil sieht – in alternativen Staatsformen, sagt er, habe Europa schon genug experimentiert. Andere Meinungen sowie demokratisch legitimierte politische Entscheidungen werden in seiner Utopie respektiert und Partizipation bzw. aktive Mitgestaltung spielen ebenso eine wesentliche Rolle. Jeder Mensch soll auch wirklich die Wahl haben können, wie er*sie sein*ihr Leben gestalten möchte, und sozialer Aufstieg durch Bildung (bzw. Leistung) wird konsequent ermöglicht. Außerdem ist für ihn, aus der Glasindustrie kommend, eine funktionierende Kreislaufwirtschaft der Schlüssel zu einem schonenden Umgang mit Ressourcen.

Tendenziöse Rückfragen während der Unterhaltung habe ich tunlichst vermieden. Immerhin ist es ja die Utopie meines Vaters und bei Utopien sollte man doch keine Kompromisse eingehen, oder?

Abb. 3: Utopienschmankerl No.2

Die nächste Chance für eine kleine utopische Unterhaltung rieche ich bei einer Tasse Kaffee mit meiner Mama zwei Tage später. In trauter Zweisamkeit versuche ich aus einem Gespräch darüber, was alles in der österreichischen Raumordnung falsch läuft, den Bogen zu Utopien zu spannen. Eine wichtige Notiz zur Person meiner Mutter ist, dass sie eine Geographin ist und sich gerne zu raumplanerischen Themen Gedanken macht. In der Utopie meiner Mama werden die Autos in der Stadt von den Straßen verbannt und der Mensch steht wieder im Mittelpunkt des öffentlichen Raumes. Nutzen statt Besitzen ist das neue Credo in der Verkehrsmittelwahl. Die bildhafte Beschreibung ihrerseits machte mich ganz neugierig, wie denn der ländliche Raum in ihrer Utopie aussieht bzw. ob es überhaupt einen ländlichen Raum gibt. Hier beginnt ihre Vorstellungskraft allerdings zu stocken. Den ländlichen Raum gibt es jedenfalls, aber wie das Leben dort aussieht, dazu hat sie sich noch keine Meinung gebildet. Ich frage mich also: Wieso ist es so schwierig, für den ländlichen Raum eine Utopie zu spinnen? Es weihnachtet! Die nächsten Tage werden begleitet von einem stimmungsvollen Heiligabend, kiloweise Weihnachtskeksen, viiiiel Sekt, ein paar wenigen Grundsatzdiskussionen, einigen Rissen von Geduldsfäden sowie einem gemeinsamen Herantasten an einen grünen Zweig. Nach dieser Pause von utopischen Reisen, habe ich am letzten Tag des familiären Beisammenseins meine letzte Energie für eine utopische Unterhaltung zusammengenommen und einen meiner Brüder interviewt – ja, die Energie hat nur mehr für ein weiteres Familienmitglied gereicht. Auch wenn sich schon eine gewisse Diskussionsmüdigkeit abzeichnet, ist der Drang einfach zu groß, wie denn die Utopie von zumindest einem weiteren Familienmitglied aussieht.

Abb. 4: Utopienschmankerl No.3

Mein Bruder, seines Zeichens ein pragmatischer Techniker, hat sich im Beisein meiner Eltern und Oma auf eine utopische Unterhaltung nach dem Frühstück eingelassen – das heißt die Unterhaltung ist natürlich von Seitenkommentaren geprägt. Mein Bruder hat recht am Anfang klargemacht: „Teresa, ich bin Pragmatiker! Wir stehen vor einer weiteren industriellen Revolution. Niemand, weiß was da an technologischem Fortschritt auf uns zukommt!“ Na gut, soweit so gut, wir starten unsere „gemütliche“ Unterhaltung mit der Frage nach den größten Problemen bzw. Herausforderungen unserer Zeit. Für ihn sind das der unachtsame Umgang mit Ressourcen, die absurde Energieverschwendung, die schlechte(n) Bildung(schancen) in globaler Hinsicht sowie die ungleichmäßige Bevölkerungsverteilung bzw. das ungleichmäßige Wachstum. In seiner Utopie sind diese Probleme gelöst. Durch  bessere Bildungschancen können sich vor allem strukturschwache Regionen auf dem Globus emanzipieren und eigene Lösungen lokal und selbstbestimmt entwickeln, außerdem löst sich in seiner Utopie das Problem der ungleichmäßigen Bevölkerungsverteilung von selbst. Energiekreisläufe werden geschlossen und eine Kreislaufwirtschaft etabliert sich. Außerdem hat er in seiner Utopie auch für mich erstmals neu das Weltall ins Spiel gebracht. Seine Utopie beinhaltet diverse Asteroidengürtel von den unterschiedlichsten Planeten als fruchtbare Ressourcenquelle – vorausgesetzt natürlich, weder das Weltall noch andere Wesen (ALIENS o.O) tragen davon Schaden. Spannender Ansatz, oder?

Nach diesem doch sehr erschöpfenden Gespräch bin ich froh den weihnachtlichen Ausflug mit meiner Familie nach Utopia für beendet zu erklären. Meine zentralen Learnings sind jedenfalls, dass es echt nicht leicht ist einfach so mal jemanden zu fragen, wie denn seine*ihre Utopie aussieht. Es ist immerhin ein (Gedanken)experiment auf das man sich aktiv einlassen muss und das (zugegebener Maßen) mehr Vorbereitung erfordert, als die Absicht ein gemütliches Gespräch zu führen. 

Erschöpft von den utopischen Unterhaltungen verabschiede ich mich, bedanke mich nochmal herzlichst bei meiner Family und werde erst im neuen Jahr meine Reise in die unendlichen Weiten der Utopien fortsetzen.

Beitrag von Resi

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