Utopisch Denken ist erlaubt

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Im Zuge der Organisation des Planer*innen-Treffens, das im Mai 2021 in Wien stattfinden soll, bekommt man Variationen einer bestimmten Phrase immer wieder zu hören. „Es ist wieder Zeit utopisch zu denken“ oder „Wir wollen die Leute zum utopischen Denken ermuntern“ sind so Sätze, die unentwegt von Kolleg*innen oder externen Vortragenden skandiert werden. Das ist natürlich nicht zuletzt unserem PIT-Thema Utowien/Dystowien geschuldet, welches wir beim Treffen im Frühjahr behandeln werden. 

Ich war zwar auch selbst in den Prozess der Themenfindung involviert, dennoch konnte ich mit dem Begriff Utopie zu Beginn nur eingeschränkt etwas anfangen. In der Startphase unserer Planungen hatte Utopie für mich etwas mit fliegenden Autos, Raumschiffen und aus irgendeinem Grund mit Alufolie zu tun (sprich alles ist so wie jetzt, nur 50 Meter über dem Boden und verchromt). Aber auch der Begriff Stadt war für mich untrennbar an Utopie und Dystopie gebunden, so als ob man nur im Kontext der Gestaltung einer Stadt utopische Überlegungen anstellen könne. Dass dem nicht so ist, und dass der Begriff viel größer ist und im Prinzip jede Situation gesellschaftlichen Lebens betreffen kann, habe erst ich auf Umwegen gelernt.

Abb. 1: Stockfoto-Designer haben noch weniger Vorstellungen von Utopie als ich.
Quelle: istockphoto.com

Fußball und Utopien

Beim Lesen des Fußballmagazins “Ballesterer” bin ich auf einen Artikel gestoßen, in dem es um den Preis für die beste Fußball-Utopie des Jahres ging. Die deutsche Akademie für Fußballkultur hat diesen Preis für das Jahr 2020 an Personen verliehen, die in einem kurzen Text ihre visionären Vorstellungen zur Zukunft des Fußballs beschrieben haben. Und nein, diese Visionen lauteten nicht „meine Rapid soi endlich wieder moi Meister wean“, sondern sie stellten stets die gesellschaftliche Verantwortung des Sports in den Mittelpunkt. Soziales Engagement ist für viele organisierte Fangruppen ein zentraler Bestandteil des Fußballs und zwar nicht nur im Stadion, sondern auch im Alltag. Leider wird dieses soziale Engagement von Verbänden wie FIFA oder UEFA nur selten mitgetragen.

Abb. 2: Rapid Wien Meisterschaft 2008. Quelle: initiativescr.wien

Genau hier setzt die Utopie des Gewinner-Teams für die Fußball-Utopie des Jahres an. Gesellschaftliche Verantwortung soll dabei nicht nur in Fangruppierungen eine Rolle spielen, sondern das oberste Gebot der Verbände und Vereine sein. Hauptbestandteil der Vision ist die Gründung eines alternativen, genossenschaftlichen Fußballverbands, der die Aufgaben von DFB, ÖFB und Co. einnehmen könnte. Um die Kraft des Fußballs für soziale Zwecke nutzen zu können, sollen Regularien eingeführt werden, die vor allem auf Gleichstellung, z.B. zwischen Mann und Frau oder zwischen ärmeren und reicheren Klubs, abzielen. Eine der Regeln fordert bspw. die Umverteilung von TV-Geldern und Sponsoring-Einnahmen. Der schlechteste Klub einer abgelaufenen Saison soll dabei den größten Teil und der beste Klub den kleinsten Teil des Gesamtumsatzes bekommen, um den Wettbewerb spannend zu halten. Zusätzlich soll auch ein Gesellschaftsindex ein Faktor bei der Gelder-Verteilung sein. Vereine, die sich mehr für Gleichberechtigung oder für den Kampf gegen Diskriminierung einsetzen, sollen auch besser entlohnt werden. Außerdem sollen Spieler und Spielerinnen gleich viel verdienen. Es soll außerdem zusätzliche, Geschlechter-neutrale Wettbewerbe geben und jeder Klub muss demokratisch organisiert sein.

Abb. 3: Fußball Utopie. Quelle: fussball-kultur.org

Die Utopie-Oscars

Ich könnte jetzt noch viele weitere Regeln aufzählen, die in der Utopie beschrieben werden, doch darum soll es hier nicht gehen. Denn auch Leute, die sich nicht für Fußball interessieren, können aus diesem Beispiel etwas lernen. Utopisches Denken ist immer und überall erlaubt, wenn nicht sogar erwünscht. Jede und jeder darf utopisch Denken, wenn man einen Bedarf dafür sieht. Natürlich sollte man sich auch nicht in seinen utopischen Gedanken verlieren und muss immer die Realität im Auge behalten, schließlich hat die Utopie ja auch immer einen Bezug zur Wirklichkeit.

Dennoch muss utopisches Denken noch mehr gefördert und sichtbarer gemacht werden. Preisverleihungen, wie die der Fußball-Utopie des Jahres, eignen sich hervorragend dafür. Deshalb braucht es noch viel mehr solcher Preise, für alle möglichen Bereiche des Lebens. Diese werden dann in einer großen Gala verliehen, so eine Art Utopie-Oscars. Denn wenn sogar Fußball und Utopie unter einen Hut passen, dann scheinen die Möglichkeiten grenzenlos. Und natürlich darf man sich auch Gedanken zu Stadtplanung, fliegenden Autos oder Alufolie machen.

Inspiration:

Gesellschaftsspiele e.V:
https://gesellschaftsspiele.berlin/fussball-utopie-des-jahres/

Deutsche Akademie für Fußballkultur: https://www.fussball-kultur.org/artikel/news/den-fussball-denen-die-ihn-lieben-eine-fussballutopie

Ballesterer Fußballmagazin: https://ballesterer.at/2020/11/11/in-der-mixed-zone-david-hoffmann/

Beitrag von Kandi

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